Eine fast telepathische Verbindung
Ostfildern: Das Symphonische Orchester glänzt mit Sängerin Nora B. Hagen und Pianist Marvin Pecher
Ein schneller, wiederholter Sechzehntel-Oboenlauf rundet sich zu einer Tanzform, gefolgt von einem chromatisch absteigenden Gegenmotiv der Streicher. Maurice Ravels "Le tombeau de Couperin" beginnt ungewöhnlich, ganz leicht und ganz eigenständig: gar nicht, wie man es von einer Komposition, deren Titel übersetzt "Couperins Grabstein" lautet, erwarten würde. Als das Werk vor 100 Jahren in der Klavierversion uraufgeführt wurde und die Orchersterversion entstand, widmete der Komponist sogar jeden Satz einem im Ersten Weltkrieg gefallenen Freund. Grund genug für das Symphonische Orchester Ostfildern, das gute Kontakte nach Frankreich pflegt, sein diesjähriges Herbstkonzert mit Ravels Werk anzufangen.
Für ein Sinfonierorchester sind die Klangfarben erstaunlich weich. Es dominieren die Holzbläser und Streicher. Die Oboe hat fast eine solistische Funktion im Wechsel mit Klarinetten und Fläten, während zwei Hörner und eine Trompete nur sparsam zum Einsatz kommen. Der erste Satz im schnellen Sechsachteltakt schließt mit einem Harfen-Arpeggio und einem Triller. Es folgen die Forlane und das Menuett, in jeweils langsamerem Deriertakt, schlißlich ein Rigaudon, ein altfranzösischer Tanz in geradem Takt, der die Funktion eines Rausschmeißers erfüllt. Dirigiert von Holger Best, der einen Großteil des Programms mit dem Orchester einstudiert hat, könnte der Satz, überschrieben assez vif - äußerst schnell oder lebendig - vielleicht sogar noch schneller und tänzerischer gespielt werden. Jedenfalls hat die französische Musik jener Zeit trotz harmonischer Komplexitäten oftmals eine tänzerische Leichtigkeit, die der ernsthaften Neuen Musik diesseits des Rheins abgeht.
Tänzerisch begann Alexander Burda als Dirigent der zweiten Komposition, "Nuits d'été" - Sommernächte - von Hector Berlioz. Auch die sechs Liebeslieder für Frauenstimme - in der Stimmlage nicht einheitlich - und Orchester sind einzeln entstanden und erst nachträglich zu einem Zyklus zusammengefasst worden. Ohne sich in Szene zu setzen, gab Burda die Einsätze, beschwichtigte oft mehr als anztreiben und hielt doch auch über langsame, leise Passagen hinweg bestens die Spannung. Schließlich konnte die großartige Sängerin Nora B. Hagen in den immer wieder auch tiefen Tonlagen das Orchester schlichtweg nicht übertönen, das folglich Zurückhaltung üben musste. Burda sorgte dafür, dass die Begleitung die Sängerin nicht überstrahlte, sodass Hagen, die ihr Notenblatt zumeist nur in der Hand hielt, ohne hineinschauen zu müssen, sich voll und ganz darauf konzentrieren konnte, den romantischen, teils auch trübseligen und düsteren Texten in französicher Sprache adäquat Ausdruck zu verleihen. Unübertrefflich gelang ihm dies im leichtherzigen, dialogartigen Wechselgesang des sechsten und letzten Lieds "L'île inconnue" - die unbekannte Insel.
Nicht ganz frei von theatralischen Posen, aber vom ersten Moment an zupackend, stimmte der zweifache Jugend-musiziert-Bundespreisträger Marvin Pecher nach der Pause Johannes Brahms' zweites Klavierkonzert in B-Dur an. Hier spielt auch das Orchester, verstärkt um Pauken und weitere Blechbläser, energisch, wobei sich anfangs rhythmische Tutti mit freieren, kadenzartigen Klavierpassagen abwechseln. Pecher nutzte die Chance, sich in Szene zu setzen. Er tat dies gut, und nun legte sich auch Burda ordentlich ins Zeug. Wenn der Pianist an der Reihe war, brauchte er nur leicht den Kopf zu wenden, und was er da hörte, gefiel ihm offenkundig sehr gut, wie er nach jedem Satz durch ein beifälliges Löcheln zu verstehen gab. Mehr und mehr schien eine fast telepathische Verbindung die Akkorde und Läufe des Pianisten mit den Einsätzen zu koordinieren, die der Dirigent seinem Orchester gab. Am Ende entstand eine sehr rhythmische, energische Version des Konzerts, für die Pecher, wie schon Nora B. Hagen vor der Pause, zu Recht großen Beifall erhielt. Und Dirigent und Orchester hatten daran in beiden Fällen einen wichtigen Anteil.
Von Dietrich Heißenbüttel, © Eßlinger Zeitung, 8.10.2018